Uraufführung »Der Seele Ruh‘«
NÜRNBERG - Mit dem »Joram« von Paul Ben-Haim ging die 59. Internationale Orgelwoche Nürnberg zuende. Ziemlich enttäuschend fiel dabei die Uraufführung von »Der Seele Ruh‘« anlässlich des 750. Geburtstags des christlichen Mystikers Meister Eckhart aus.
Wieder so ein Fall, wo der interpretatorische Aufwand umgekehrt proportional zum künstlerischen Ertrag verlief. Die Orgelwoche hatte mit Hilfe des BR Deutschlands führenden Countertenor Andreas Scholl, den formstarken Orpheus Chor aus München (Leitung: Gerd Guglhör), das hauseigene Rundfunkorchester unter der arrivierten estnischen Dirigentin Anu Tali, eine japanische Taiko-Trommel und sogar Lichtdesign in St. Sebald auffahren lassen.
Süffiger und weichgespülter Wabersound
Der Komponist und Keyboarder Roland Kunz, der sich als Countertenor Orlando nennt, erhielt den Auftrag, mit einem abendfüllenden Werk in die spirituelle Welt Meister Eckharts einzuführen. Er mischte mittelhochdeutsche, lateinische und deutsche Zitatfragmente (und vergass nicht bei jedem von ihm gelesen Halbvers auf die eigene »Bearbeitung« zu verweisen). Mit seinem tonal eingängigen, ja geradezu süffigen und weichgespülten Wabersound, den Frank Zabel in eine spielbare Form gebracht hatte, arbeitete er sich an den ausgewählten Sentenzen ab. Die Seele als eigentlicher Sitz der Göttlichkeit war das Thema und das wird etwa in der Nummer »Zerginge das Feuer« sogar mit einem heftigen Querverweis auf die »Dies irae«-Sequenz beschworen.
Überirdische Legatobögen
Es wird deklamiert, akklamiert, herzerweichend gesäuselt und die beiden Gesangssolisten schmeicheln mit überirdischen Legatobögen. Allein: Das ganze, in die eigene begrenzte Erfindungsgabe verliebte Opus lässt eben jene Seele vermissen, die es vorgibt zu besingen. Das können selbst eine tolle Taiko-Nummer, das belanglose Lichtbad und die hervorragenden Ausführenden nicht kaschieren. Am Ende Beifall für kunsthandwerklichen Edelkitsch, der einer Orgelwoche ziemlich unwürdig war.
Nürnberger Nachrichten (Jens Voskamp, Uwe Mitsching), Juni 2010
Abgerutscht in den banalen Sakral-Pop
Da soll noch mal jemand mäkeln, die diesjährige Internationale Orgelwoche (ION) hätte keinen Sinn für Populäres. Die Uraufführung des Oratoriums »Der Seele Ruh’« nach Worten des Mystikers Meister Eckhart war am Freitag in der vollen Sebalduskirche jedenfalls ein heftig applaudierter Erfolg.

Komponiert und aufgeführt wurde das gut eineinhalbstündige Werk von Roland Kunz, besser bekannt als Countertenor mit dem Künstlernamen Orlando und seiner Band »Orlando und die Unerlösten«. Die sind schon länger im Grenzbereich zwischen alter und sakraler Musik sowie den sanfteren Rhythmen des Pop und des Jazz unterwegs, wobei die seit Jahren gepflegte Künstlerfreundschaft zwischen Kunz und seinem berühmten Countertenor-Kollegen Andreas Scholl einen kräftigen Promi-Bonus einbringt.

Auch bei »Der Seele Ruh’« ist Scholl mit von der Partie, Kunz hat ihm und sich die Solo-Partien quasi auf den Leib komponiert, zudem braucht es für dieses Konzert das Münchner Rundfunkorchester, ergänzt um exotisches Schlagwerk wie eine mächtige japanische O-Daiko-Trommel, den 65 Stimmen starken orpheus chor münchen (Einstudierung Gerd Guglhör) – und eben die dreiköpfige Band »Die Unerlösten«.

Genügend Stimmen und Instrumentalisten also, um die Sebalduskirche leicht auf konventionellem Weg mit Klang zu erfüllen. Doch stattdessen gab es »Der Seele Ruh’« nur mit Mikrofon und elektronischer Verstärkung. Schon der Eröffungschor wurde von süßlichen Geigenakkorden umspült, während die Beleuchtung das Kirchenschiff in Rot-Orange tauchte. Wenn das den Kompositionsauftrag vergebende Studio Franken »Der Seele Ruh’« als »ein Oratorium der Sinne aus Harmonie und Licht« bewirbt, ist eben Vorsicht geboten.

Scholls edles Kopfstimmen-Timbre formt zwar ein paar schöne vokale Bögen überm fadenscheinigen Klangteppich, doch sobald Kollege Kunz am Keyboard stehend den aus verschiedenen Schriften und Predigten Eckarts amalgamierten Text spricht oder singt, rutscht die Aufführung ab in banalen Sakral-Pop. Meister Eckhart, vor 750 Jahren geboren, wird das nicht gerecht. Die Texte des Mystikers entziehen sich der alleinigen Erfassung durch den Verstand, sie brauchen die sinnliche Gotteserfahrung durch Meditation.

Da rauscht der Breitwandsound mit seinen abgegriffenen Orchestrierungseffekten zwischen Doku-Drama und Kino-Melodram aber meilenweit daran vorbei. Der Chor jauchzt oder jubiliert zu Harfengefunkel, das Orchester ist deutlich unterfordert, die Band verschleiert mit softem Beat die fehlenden melodischen Einfälle, und die estnische Dirigentin Anu Tali hält mit starrem Taktschlag das aufgebauschte Harmoniegebilde zusammen. In Verbindung mit einem Schuss Klangexotik kann sich jeder Wellness- und Esoterikfreund »Der Seele Ruh’« nebenwirkungsfrei auf den mp3-Player laden. Nur leider führt die Reise nicht zu Meister Eckhart, sondern endet in eklektizistischem Kitsch.
Nürnberger Zeitung (Thomas Heinold), Juni 2010